Disziplinarrecht der Beamten: unerlaubte Nebentätigkeit als Dienstvergehen

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Disziplinarrecht der Beamten: unerlaubte Nebentätigkeit als Dienstvergehen

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 19.02.03 - 2 BvR 1413/01)

Im Disziplinarverfahren muss die Sanktion in einem angemessenem Verhältnis zu dem Dienstvergehen stehen. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schuldgrundsatz.

Die Disziplinargerichte erkannten dem disziplinarrechtlich nicht vorbelasteten Beschwerdeführer - einem inzwischen pensionierten Polizeiobermeister (POM) aus NRW - das Ruhegehalt ab.

Folgender Sachverhalt:

Die Ehefrau des POM hatte eine GmbH gegründet, die sich mit Mietwagenfahrten, Krankentransporten u. a. befasste. Als Geschäftsführer waren beide Eheleute im Handelsregister eingetragen. Der Beamte führte zusammen mit seiner Ehefrau die Geschäfte der GmbH mit einem Jahresnettoumsatz von ca. DM 900.000,00, ohne eine Genehmigung für diese Nebentätigkeit zu beantragen.

Als der Dienstvorgesetzte hiervon erfuhr, widerrief er mit Verfügung vom 29.07.88 eine Genehmigung, die zuvor für eine andere Nebentätigkeit geringeren Umfangs erteilt worden war, untersagte dem Beamten jede Nebentätigkeit für die GmbH und forderte ihn auf, seinen Vertrag als Geschäftsführer innerhalb von zwei Wochen aufzulösen. Ungeachtet dieser vollziehbaren Verfügung setzte der Beamte die Tätigkeit bis Anfang November 1988 fort. Die Erfüllung seiner Dienstpflichten wurde hierdurch nicht beeinträchtigt.

Der Beamte behauptet, die Firma habe sich in einer Notlage befunden, nachdem seine Ehefrau die Prüfung für die Personenbeförderungserlaubnis nicht bestanden habe. Um das Gewerbe nicht aufgeben zu müssen, sei er deshalb trotz des Verbots zunächst weiter als Geschäftsführer tätig gewesen. Eine Auflösung des Geschäftsführervertrags innerhalb von zwei Wochen sei praktisch nicht möglich gewesen. Durch die Nebentätigkeit, deren Genehmigungsbedürftigkeit ihm bewusst gewesen sei, sei dem Dienstherrn kein Schaden entstanden. Seine Dienststelle habe sich von 1988 bis 1993 sogar in zahlreichen Fällen ohne Gegenleistung Fahrzeuge der GmbH zum Zwecke der Observation und für Aufkäufer beschafft; zudem seien von der Firma Vorzeigegeld für diverse Einsätze sowie Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung gestellt worden. Das habe ihn zu der Überzeugung geführt, dass Verstöße gegen das Nebentätigkeitsrecht nicht gravierend seien, sofern der Dienst dadurch nicht beeinträchtigt werde.

Gegen das Urteil legte der Beamte - beschränkt auf das Disziplinarmaß - Berufung ein. Diese hatte beim Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.

Hiergegen - also letztlich gegen die Aberkennung des Ruhegehalts als Sanktion - richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beamten.

Das Bundesverfassungsgericht befindet:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG). Die Verhängung der schärfsten Disziplinarmaßnahme wird von den getroffenen Tatfeststellungen nicht getragen und liegt außerhalb des Rahmens der disziplinargerichtlichen Rechtsprechung.

Es besteht eine verfassungsrechtliche Verankerung des Schuldprinzips:
Jede Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters stehen.
Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Übermaßverbot.

Das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) gelten auch im Disziplinarverfahren.

Nach der Spruchpraxis der Disziplinargerichte kommt eine Weiterverwendung im öffentlichen Dienst nicht in Betracht, wenn das Vertrauensverhältnis durch das Dienstvergehen endgültig zerstört ist. Hiergegen bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gleiches gilt, wenn das Dienstvergehen einen so großen Ansehensverlust bewirkt hat, dass eine Weiterverwendung als Beamter die Integrität des Beamtentums unzumutbar belastet. In beiden Fallgruppen ist der Beamte für den Dienstherrn objektiv untragbar und daher die Entfernung aus dem Dienst geboten. Wann ein derartiger endgültiger Vertrauens- oder Ansehensverlust gegeben ist, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Schwere der Verfehlung, dem Ausmaß der Gefährdung dienstlicher Belange bei einer Weiterverwendung und - bei der Beurteilung der Vertrauensbeeinträchtigung - dem Persönlichkeitsbild des Beamten.

Für die Zumessung der Disziplinarmaßnahme spielt das Eigengewicht der jeweiligen Pflichtverletzung eine bedeutsame Rolle. Art und Intensität der Verfehlung bestimmen regelmäßig den Umfang der Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen. Die disziplinargerichtliche Rechtsprechung hat in Konkretisierung des Schuldprinzips die Relation zwischen dem Gewicht des Dienstvergehens und der Bemessung der Disziplinarmaßnahme auf die Formel gebracht, dass die Schwere des Dienstvergehens in erster Linie in der gewählten "Strafart" zum Ausdruck kommen muss (vgl. BVerwGE 33, 72 [74]).

Dienstvergehen, die grundsätzlich die Dienstentfernung erfordern, sind danach in erster Linie Eigentumsverfehlungen bei Ausübung des Dienstes wie etwa Unterschlagung im Amt und Diebstahl. Vergreift sich ein Beamter bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört er damit regelmäßig das Vertrauensverhältnis. Gleiches gilt für den Straftatbestand der Bestechlichkeit. Lässt sich ein Beamter bestechen, dann bewirkt er damit eine außerordentlich schwere Ansehens- und Vertrauenseinbuße, und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe und in welcher Art ihm Bestechungsvorteile zugeflossen sind. Bestechliche Beamte sind daher regelmäßig untragbar. Auch sittliche Verfehlungen von Beamten haben ein erhebliches Gewicht. Das gilt vor allem, wenn sie im dienstlichen Bereich begangen werden und/oder in unmittelbarem Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben stehen. Zu einer besonderen Belastung des Ansehens führt ein Sittlichkeitsverbrechen, vor allem an Kindern oder Abhängigen. Der Ansehensschaden, den der Beamte durch die Begehung solcher Verbrechen erleidet, ist regelmäßig so groß, dass er nicht im Dienst bleiben kann.

Außerhalb dieser Deliktsgruppen kann die Verhängung der Höchstmaßnahme insbesondere in Betracht kommen, wenn es sich um ein vorsätzliches schwerwiegendes Versagen im Kernbereich der Pflichten handelt. Damit ist derjenige Pflichtenkreis des Beamten gemeint, der im Mittelpunkt der ihm übertragenen und im Einzelnen geregelten dienstlichen Aufgaben steht.

Ein Versagen im Kernbereich der dem Beamten konkret zugewiesenen polizeidienstlichen Aufgaben haben die Gerichte hier nicht festgestellt.

1. Das VG hat in erster Linie eine Verletzung der Hingabepflicht angenommen. Die tatsächlichen Feststellungen tragen diese Annahme indessen nicht.

Die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf umfasst die Pflicht zur Dienstleistung in zeitlicher Hinsicht sowie in ihrer qualitativen Ausrichtung einschließlich der Einarbeitung und Fortbildung und das persönliche Verhalten, auch außerhalb des Dienstes, soweit es sich auf die Dienstleistung auswirken kann. Solange ein Beamter seine dienstlichen Aufgaben in qualitativer und quantitativer Hinsicht ordnungsgemäß erfüllt, wird durch sonstige Aktivitäten die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf nicht verletzt. Eine Nebentätigkeit verletzt die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf, wenn durch sie die dienstliche Einsatzfähigkeit des Beamten eingeschränkt wird. Dies hat das VG nicht festgestellt. Vielmehr ist die Dienstausübung als solche nach den für das OVG bindenden Feststellungen der Disziplinarkammer durch die unerlaubte Nebentätigkeit nicht beeinträchtigt worden. Zudem kann nicht bei jeder Verletzung der Hingabepflicht auf die Höchstmaßnahme erkannt werden. So sieht die fachgerichtliche Rechtsprechung erst bei einem mehrmonatigen vorsätzlichen ungenehmigten Fernbleiben vom Dienst regelmäßig die Höchstmaßnahme als verwirkt an (vgl. BVerwG, DöD 1978, 208).

2. Aus der Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf folgt auch die Gesunderhaltungspflicht, die ebenfalls durch Ausübung von Nebentätigkeiten verletzt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann bei Verletzung der Gesunderhaltungspflicht durch Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten während Dienstunfähigkeit wegen Krankheit nach den Umständen des Einzelfalls die Entfernung aus dem Dienst bzw. nach Eintritt in den Ruhestand die Aberkennung des Ruhegehalts geboten sein (vgl. BVerwGE 113, 337 = NJW 2000, 1585). Das BVerwG hat in diesen Entscheidungen darauf abgehoben, es reiche aus, wenn die Nebentätigkeit generell geeignet sei, die alsbaldige und nachhaltige Genesung zu beeinträchtigen.

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar: Auf eine generelle Eignung der Nebentätigkeit zur Beeinträchtigung der Gesundheit abzustellen, erscheint nicht tragfähig, denn das VG hat keine Beeinträchtigung der Dienstgeschäfte und auch keine Ausübung der Nebentätigkeit während krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit festgestellt, auf die möglicherweise die Aberkennung des Ruhegehalts hätte gestützt werden können. An die vom VG getroffenen Feststellungen war das Berufungsgericht wegen der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß gebunden. Die im ersten Rechtszug getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen waren für sein Verfahren als festliegend anzusehen; das Berufungsgericht hatte allein über die richtige Disziplinarmaßnahme bzw. über deren angemessene Dauer und Höhe zu befinden. Das OVG hat indes unter Verwertung einer Zeugenaussage in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erstmals festgestellt, der Beschwerdeführer habe die Nebentätigkeit auch in Zeiträumen ausgeübt, in denen er krankgeschrieben gewesen sei. Diese ergänzende Tatfeststellung steht mit der Beschränkung des Rechtsmittelverfahrens auf das Disziplinarmaß nicht im Einklang und kann deshalb bei der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme nicht zu Grunde gelegt werden.

3. Soweit das VG eine Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten bejaht hat, erschließt sich aus den Entscheidungsgründen nicht, worin eine solche Pflichtverletzung liegen soll. Die genannte Pflicht verlangt von dem Beamten, seine Lebensführung nach den geltenden Moralanschauungen auszurichten, also die Gebote, die sich aus Sitte, Ehre und Anstand ergeben, jedenfalls soweit zu beachten, wie dies die dienstliche Stellung erfordert. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwGE 86, 370) kann diese Pflicht zwar auch durch Ausübung einer Nebentätigkeit ohne die erforderliche Genehmigung verletzt werden. Das BVerwG (BVerwGE 86, 370 = NVwZ 1992, 169) erkannte bei einem Beamten, der mehrere Jahre lang unerlaubt eine Nebentätigkeit mit einem Umfang von zehn bis zwölf Stunden im Monat ausübte, wobei für den unvoreingenommenen Betrachter der Eindruck entstehen konnte, der Beamte sei hauptberuflich für die betreffende Firma tätig, jedoch lediglich auf eine Gehaltskürzung um ein Zwanzigstel für fünf Monate.

Das OVG hat eine Schädigung des Ansehens des öffentlichen Dienstes durch das Verhalten des Beschwerdeführers daraus hergeleitet, dass für die Öffentlichkeit der Eindruck habe entstehen müssen, der Beamte setze sich über Anordnungen seines Dienstvorgesetzten und sogar über gerichtliche Entscheidungen hinweg, während es dem Dienstherrn nicht gelinge, den Beamten davon abzuhalten, sein privates wirtschaftliches Interesse an einer lukrativen Nebentätigkeit über die Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen zu stellen. Konkrete Feststellungen dazu, ob das Verhalten des Beschwerdeführers überhaupt öffentlich bekannt geworden ist, liegen dem nicht zu Grunde; dies wäre aber Voraussetzung für die Annahme einer Ansehensschädigung gewesen.

4. Die auf dem Dienst- und Treueverhältnis beruhende Gehorsamspflicht ist eine der Grundpflichten im Beamtenverhältnis. Auch die Verletzung der Gehorsamspflicht, der die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich unbedenklich erhebliches Gewicht beimessen, betrifft aber nicht notwendig den Kernbereich der dienstlichen Tätigkeit. Die Untersagung durch den Dienstvorgesetzten bezog sich auf die Ausübung einer Nebentätigkeit und damit nicht auf die eigentlichen Dienstgeschäfte. Der Verstoß gegen die Untersagungsverfügung bedeutet daher trotz der bewussten Missachtung der Verfügung, mit der die weitere Ausübung der Nebentätigkeit verboten worden war, noch nicht notwendig ein schwerwiegendes Versagen im Kernbereich der Pflichten, welches ohne weiteres die Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnte.

Angesichts der sonstigen Spruchpraxis der Disziplinargerichte fällt die Verhängung der Höchstmaßnahme eindeutig aus dem Rahmen. Sie wird von den Tatfeststellungen, soweit diese der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme zu Grunde gelegt werden dürfen, nicht getragen. Damit ist indiziert, dass die Sanktion nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem zu ahndenden Dienstvergehen steht und dass sie deshalb den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schuldgrundsatz verletzt. (...)

Wegen des Verstoßes gegen das Schuldprinzip ist die Sache zur erneuten Entscheidung über das Disziplinarmaß an das VG zurückzuverweisen. (...)

 


 

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